Wieder klingelt um kurz nach 4 Uhr der Wecker. Ich verabschiede mich von den Strassenkötern und lege im Dunkeln ab, erst draussen auf dem Meer geht die Sonne auf.
Mein nächstes Etappenziel wäre eigentlich die nördlichste Hafenstadt Albaniens gewesen: Shengjin, nur 50sm entfernt. Aber ich war fest entschlossen, keinen Tag länger in Albanien zu bleiben. Von dort wäre ich darüberhinaus auch erstmal nicht mehr weggekommen, da für die nächsten 2 Tage NordWestWind angesagt ist. Das wäre dann genau Gegenwind gewesen.
So hieß mein Ziel nun Bar in Montenegro. Etwa 70sm entfernt. Laut den Hafenhandbüchern, kein besonders toller Ort, aber dafür ein neues Land, inklusive neuem Länderpunkt! Und von dort wäre PortoMontenegro nicht mehr weit, eine neue Super-Luxusmarina, von der derzeit viel berichtet wird. Ein wenig Luxus nach den letzten Tagen würde mir gefallen.
Auch der Basilikum freut sich von Albanien weg zu kommen, er sieht richtig gut aus. Die Sonne scheint, guter Dinge setzt ich etwas früh die Gastlandflagge Montenegros.
Strategie & Taktik beim Segeln (eine kleine Fortbildung):
Wie man auf der Seekarte erkennen kann, liegt Bar genau norwestlich von Durres. Heute soll es wieder Nord- West Wind geben. Damit würde ich es unmöglich in diese Richtung bis nach Bar schaffen.
Bei genauerer Betrachtung der vorhergesagten Windverhältnisse kann man erkennen, dass es am Vormittag reinen Nordwind geben soll. Ab 13 Uhr dreht der Wind dann nach Nord-West und ab 21 Uhr im Küstenbereich wieder auf Nord bzw Nord-Ost. Aber zu diesem Zeitpunkt sollte ich es gerade eben geschafft haben. Also ist mir der erneute Winddreher egal. Leider wird es ganz anders kommen....
Würde ich sofort in Richtung Bar steuern (Nord-West), würde ich um 13 Uhr wegen des dann herschenden Gegenwindes nicht weiter kommen. Nach 8 Stunden wäre ich erst 40-45sm weit, die 70sm bis nach Bar würde ich also definitiv nie schaffen.
So nun zur Taktik:
Ich plane den Nordwind am Vormittag zu nutzen um zunächst möglichst weit nach Westen zu kommen. Ab 13 Uhr könnte ich dann mit dem vorhergesagten Nord-West Wind Richtung Nord-Osten segeln, genau nach Bar. So wäre ich zwar länger unterwegs sollte es aber bis nach Bar schaffen.
Auf den Windkarten unten ist Durres an der Küste, genau links von Tirané. Bra ist ganz oben an der Küste genau unter der 07:.. . Porto Montenegro ist ganz oben weit links und eigentlich nicht mehr auf der Karte, ungefähr oberhalb von "Netz".
So die Theorie, dazu muss der Wind sich auch an die Vorhersage halten. Mal sehen, ob es klappen wird.
Anfangs komme ich sehr gut voran, bald sehe ich kein Land mehr, blauer Himmel, weit und breit kein Boot oder Frachter zu sehen, ich bin mal wieder alleine, aber es gibt zunehmend hohe Wellen. Die Wellen nerven mich echt. Zum einen bremsen sie das Boot und bei jeder 20sten Welle kracht das Boot mit einem enormen Schäpperer in das Wellental. Ich bete jedesmal, dass alles hält.
Um Punkt 12:30 Uhr dreht der Wind plötzlich auf Nord-West und wird stärker. Ich wende und es geht Richtung Norden. Juhu der Wind hält sich an die Vorhersage und meine Taktik scheint aufzugehen. Unten auf dem Plotter sieht man meine gefahrene Strecke mit dem Richtungswechsel.
Ich werde es so locker noch bei Helligkeit bis nach Bar schaffen. Der Blick auf die Karte zeigt mir, dass ich es, aufgrund meiner weit nach Westen gut gemachten Strecke, sogar gerade eben bis nach Porto Montenegro schaffen könnte. Dies liegt weiter westlich und nördlich von Bar, also noch deutlich weiter. Porto Montenegro ist eine sehr große Marina in Tivat in der Bucht von Kotor. Eine riesengroße Bucht. Vom Eingang bis nach Tivat braucht man fast 2h, das gilt sogar auch für Motorboote, da in der Bucht eine Geschwindigkeitsbegrenzung besteht. Ich würde so zwar in die Dunkelheit kommen, aber dann müsste ich bereits im Schutz der Bucht von Kotor sein. Es ist ja nur dunkel, sonst ist alles gleich. Ausserdem ist strahlend blauer Himmel, es wird also sternenklar sein und damit nicht so richtig dunkel. So wäre ich heute Abend schon in der schicken Marina und würde mir dort als Belohnung einen Tag Erholung gönnen können, ich bin ganz aufgedreht ob dieser verlockenden Option. Ich steuere sehr konzentriert und luve jedes mögliche Grad an, um es bis in die Bucht von Kotor zu schaffen.
Wie bereits erwähnt, ich werde auf jeden Fall in die Dunkelheit kommen.
Im Dunkeln auf See ist es doch etwas gefährlicher. Man sieht nicht mehr so gut, erkennt somit die ankommenden Wellen nicht und wird von plötzichen Bootsschwankungen doch eher überrascht als am Tag. Damit ich nicht von Bord fliege, lege ich eine Leine (Strecktau) über die Mitte des Bootsdecks, in die ich mich mit einem Karabiner einhängen kann. Ich spanne das Tau so, dass ich mich bereits vor Verlassen des Niederganges einhaken kann. So kann ich mich im angeleinten Zustand über das gesamte Deck bewegen. Dazu trage ich ein Brustgeschirr mit Schrittgurt. Meine Rettungsweste ist mir zu schwer und unbequem. Wenn ich über Bord falle, findet mich hier sowieso keiner. Und falls doch stecke ich mir ein PLB (=Personal Locator Beacon) in die Hosentasche. Ein PLB ist ein Funksender zur Kennzeichnung einer Notposition. Über Satelliten würden durch den PLB meine Position und meine personalisierten Daten an Rettungsleitstellen gesendet, die mich dann hoffentlch per Hubschrauber aus dem Wasser ziehen (so ist die Theorie). Besser ist es, auf keinen Fall über Bord zu fallen. Daher bin ich sehr spießig konsequent und leine mich permanent an, was sehr mühsam ist. Aber Sicherheit geht vor.
So gegen19 Uhr erkenne ich Land, endlich, Land!!! Aber je näher ich komme, desto mehr Wolken ziehen auf und zwar nur über der Bucht von Kotor. Langsam wird es dunkel, das macht die Wolken noch bedrohlicher. Auf Kanal 16 funken die Italiener permanent Sécurité. Sécurité ist eine Sicherheitsmeldung im Seefunkverkehr, meistens das Wetter betreffend. Ich verstehe abe nix richtig, da der Empfang sehr schlecht ist, aber Italien ist ja auch weit weg.
Dann ist die Sonne weg und auf einen Schlag ist es stockfinster. Gleichzeitig frischt der Wind auf und kommt genau von vorne. Genau wie von der Wetterapp vorhergesagt, es ist kurz vor 9. Aber das hatte ich ja nicht mehr beachtet, da ich zu diesem Zeitpunkt schon längst in Bra sein wollte. Wäre ich auch gewesen, hätte ich mich an meinen ursprünglichen Plan gehalten. Die Wellen werden wieder höher, ich berge die Segel und komme auch unter Motor kaum noch vorran. Gegen den Wind geht mit einem Segelboot einfach nicht. Lediglich 3,5 Knoten mache ich über Grund, das ist nix. Ich muss es aber irgendwie in die Bucht schaffen, dann wird alles gut. Es ist kurz vor 22 Uhr als ich endlich in die Bucht von Kotor einfahre. Der Wind wird immer stärker, was ich nicht ganz verstehe. Ich denke mir, wahrscheinich sind das lokale Fallböen, die schon gleich wieder aufhören werden.
Plötzlich über Funk Sécurité aus Montenegro. Sehr deutlich zu verstehen. Sie warnen über Windböen bis zu 45 Knoten. Auweia. Das ist echt viel. Ich glaub so 8-9 Windstärken. Jetzt bekomme ich echt Angst. Es ist stock finster, ich war hier noch nie, kenne das Revier nicht, bin alleine, die Leuchtfeuer erkenne ich wegen der ganzen Lampen an Land kaum. Ich muss gleichzeitig steuern, navigieren und Ausschau halten. Alleine ist echt Mist! Der Wind heult und kreischt inzwischen über mich hinweg. Das ganze Boot vibriert. Ich überlege die ganze Zeit, was ich machen soll, wenn erneut der Moror ausfällt oder das Ruder bricht. Das sind so meine beiden Horrorvorstellungen.
Irgendwann kurz nach Mitternacht komme ich am östlichen Ende der Kotorbucht an, ich sehe die Marina, darf aber nicht einlaufen, sondern muss mich erst beim Zoll melden. Der Zollpier ist sehr nah unter Land. Ich erkenne ihn in der Dunkelheit auch nicht so richtig und weiß nicht wie ich dort anlegen soll. Der Wind wird durch die Landabdeckung etwas weniger, die Bedrohung scheint zu Ende zu gehen. Hier, in dem kleinen Küstenabschnitt nördlich der Marina, liegen einige Boote an Bojen sowie vor Anker. Das ist doch eine gute Idee, ich werde hier bis zum nächsten Morgen ankern. Alles ist aber sehr eng hier, wegen der bereits vorhandenen Boote, zusätzlich gibt es einen durch Bojen abgetrennten Badebereich. Beim zweiten Anlauf gelingt mir das Ankermanöbver.
Unten sieht man wie oft ich im Kreis gefahren bin, um die Situation zu erkunden. Um 0:30 Uhr, nach 20 Stunden auf See, falle ich vollkommen erledigt in die Koje. Gut, dass alles gut ausgegangen ist.